| Ben Schulz

Leitbilder – wirklich relevant oder bloß Fassade?

Leitbilder – oft als Glanzlichter eines Unternehmens angepriesen, dienen sie dazu, Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu schaffen. Doch was, wenn diese Leitbilder nur leere Worthülsen sind, die schlimmstenfalls das Vertrauen in die Unternehmenswelt erschüttern? Heute stelle ich die Frage nach der praktischen Umsetzung solcher Leitbilder in den Fokus.
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In der heutigen Geschäftswelt sehen wir eine Flut von Leitbildern, die oft den Eindruck erwecken, nur aus einem der folgenden Gründe zu existieren:

  • Marketing: Unternehmen verwenden Leitbilder, um sich nach außen hin modern und nachhaltig darzustellen.
  • Erwartungen: Die Gesellschaft und der Markt erwarten von Unternehmen, dass sie Leitbilder haben und diese Attribute erfüllen.
  • Teambuilding: Leitbilder werden gerne als Werkzeug für vermeintliches Teambuilding eingesetzt.
  • Imagepflege: Unternehmen versuchen, durch Leitbilder die Realität schöner darzustellen, als sie ist.

In kaum einem Unternehmensleitbild fehlen die inhaltsleeren Floskeln „modern“ und „nachhaltig“. Denn so müssen Unternehmen heute sein. Der Markt und die Gesellschaft erwarten das. Doch in der Realität lösen sie oft nur ungläubige Blicke und Skepsis aus – zunächst in der Belegschaft, schlimmstenfalls sogar beim Kunden. Wie „modern“ kann ein Unternehmen sein, in dem Produktionsmitarbeiter an 50 Jahre alten Maschinen arbeiten? Wie „nachhaltig“ ist ein Unternehmen, in dem jede E-Mail ausgedruckt wird?

Sogar bei den bekanntesten Unternehmen weltweit beobachten wir, wie das Vertrauen in deren Leitbilder durch die Realität erschüttert wird. Hier ein Beispiel:

Das Starbucks-Versprechen

Schauen wir uns das Leitbild von Starbucks an: „Wir möchten Menschen Tasse für Tasse und in jeder Umgebung inspirieren und fördern. Unsere Stores laden dazu ein, Freunde oder Familienmitglieder zu treffen, einen ruhigen Moment alleine oder mit einem Buch zu genießen, oder einfach nur, sich in einer fremden Stadt an einem vertrauten Ort aufzuhalten."

Doch Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie sich in einer Starbucks-Filiale eines Hauptbahnhofs wirklich inspiriert gefühlt? Oder einen ruhigen Moment alleine genießen können, umgeben von Rucksacktouristen und Menschen, die laut telefonieren? Die Realität sieht oft anders aus, und das Starbucks-Erlebnis entspricht in der Praxis nicht wirklich dem versprochenen Leitbild. Was für Sie an dieser Stelle kein Weltuntergang sein mag – haben Sie für diese Erfahrung schließlich weniger als 20 Euro bezahlt.


 

Die schwerwiegenden Folgen eines „Fassaden-Leitbilds“

Wenn es aber nun um 100.000 Euro ginge, würden Sie dann einem Unternehmen vertrauen, das in seinem Leitbild nur leere Versprechungen macht? Ich denke nicht. Deshalb zieht ein leeres Leitbild viel gravierendere Konsequenzen nach sich, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es wird schnell erkennbar, wenn in einem Unternehmen die Versprechungen der Website in der Praxis nicht gelebt werden. Und wenn bereits an dieser Stelle die Umsetzung in die Praxis nicht funktioniert, warum sollte man diesem Unternehmen dann vertrauen, dass es die eigene Kundenanfrage souverän bearbeitet? 

Menschen vertrauen keinen Menschen, die vorgeben, etwas zu sein, was sie nicht sind. Und sie kaufen darum auch nicht bei Menschen, die vorgeben, etwas anderes zu sein, als sie sind. Das gilt für ganze Unternehmen genauso wie für einzelne Mitarbeitende. Menschen schließen keine Verträge, mieten keine Autos, empfehlen einen nicht weiter und kooperieren nicht, wenn sie jemandem nicht vertrauen.

5 Fragen für ein greifbares, lebendiges Leitbild

Haben Sie ebenfalls ein Leitbild voller Worthülsen? Dann ist heute ein guter Tag, um das zu ändern. Und seien Sie beruhigt, Sie sind damit nicht alleine: Laut einer Studie der ZEIT für Unternehmer und der Stiftung „In guter Gesellschaft“ haben nur 62 Prozent der befragten Unternehmen ein vollständiges Leitbild mit all diesen fünf Elementen.

Was brauchen Sie also für ein gutes Leitbild? Die Antworten auf die folgenden fünf Schlüsselfragen:

Zweck: Welchen Zweck erfüllt das Unternehmen?
Mission: Welchen kundenbezogenen Auftrag erfüllt es?
Vision: Welches Zukunftsbild hat es?
Leitsätze: An welchen Eckpunkten kann sich die tägliche Entscheidungsfindung orientieren?
Werte: Welches Verhalten wird gelebt?

Erst, wenn Ihr Leitbild Antwort auf diese Fragen gibt, wird es greifbar und lässt sich im Alltag umsetzen. Dann kann es den Mitarbeitenden, Kunden und Stakeholdern langfristige Orientierung geben. Mit dem Ziel, dass die Aussagen des Leitbildes auf jeden einzelnen Arbeitsplatz in der Organisation Wirkung haben, sodass jeder Mitarbeitende weiß, warum gerade sein Arbeitsplatz für die Erfüllung dieses Zielbildes notwendig und wichtig ist.

Woran das beste Leitbild der Welt scheitern kann? An Ihrer Führungskultur.

Ihre Führungskräfte entscheiden darüber, ob Ihr Leitbild mit Leben gefüllt wird oder nicht. Denn sie wirken als Vorbilder – sowohl im Positiven wie auch im Negativen. Es liegt an ihnen, das Leitbild lebendig zu machen. Ich kann verstehen, dass Veränderungen in der Führung schmerzhaft und unbequem sind. Ein Leitbild kann so eine Veränderung auch nur einleiten. Doch allein durch die Führungskraft wird die Veränderung tatsächlich in die Praxis umgesetzt.

Wer als Führungskraft nicht bereit ist, sich zu verändern und nicht einsehen will, dass ein Leitbild Auswirkungen auf das Management wie auch die Kultur hat, kann gleichzeitig ein tolles Leitbild haben und grandios daran scheitern.

Dann besser einfach gar kein Leitbild?

Vielleicht denken Sie: "Ein echtes Leitbild, das etwas bringt, klingt ziemlich zeit- und kostenintensiv, dann schmeiß ich es doch lieber einfach von der Website und weiter geht’s." Doch hier sollten wir aus einer Studie von 2021 lernen, die zeigt, dass Unternehmen mit einer starken Unternehmenskultur ein deutlich höheres Wachstum verzeichnen – und dabei spielt ein gelebtes Leitbild eine bedeutende Rolle.

In diesem Sinne: Werfen Sie das leere Geschwätz aus Ihrem Leitbild, dann hat es die Chance, wirklich wertvoll für Sie und Ihr Unternehmen zu werden.


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